Oft hört man in letzter Zeit, wir Journalisten sollten Haltung zeigen, sollten uns klar zu einer Sache bekennen. Wie sieht es also aus mit der Parteilichkeit eines Journalisten?
„Ich habe Schwierigkeiten mit dem Begriff, weil Haltung oft als Feigenblatt für Denkfaulheit dient, das Mittreiben im Mainstream“, sagt Klaus Cleber, langjähriger Moderator des „heute-journal“ im Medienmagazin „journalist“. Trump sei blöd oder die Rüstungsindustrie kriminell, die Politik verlogen, wer sich in solchen bequemen Korridoren mit deftigen Formulierungen hervortut, könne sich einbilden, eine Haltung zu haben. Tatsächlich befasse er sich nicht mit der Sache, so Cleber.
Also sind Journalisten, die meinen, eine Haltung zu haben, nur zu bequem, gründlich zu recherchieren? Natürlich verlangt jede Nachricht, sie genauestens zu hinterfragen. Die Recherche zeigt oft Aspekte, die die schwarz-weiß-Linie verlassen. Die Wahrheit liegt in der Mitte, sagte einmal ein Lehrer zu mir. Und die Mitte kann ich mit einer festgelegten Haltung nicht finden, weil sie keine Interpretation nach der einen oder anderen Seite zulässt. Derjenige, der solch einen Haltungsbegriff für sich beansprucht, lässt auch keine andere Meinung zu. Nur er hat recht, denn er hat ja eine Haltung. Wenn hier übrigens die männliche Form benutzt wird, liegt das nur daran, dass der Autor männlich ist. Solche Haltungsdeformationen gibt es selbstredend ebenfalls in der weiblichen Welt. Solch ein absoluter Anspruch auf die Haltung oder die Wahrheit birgt immer auch den Kern der Diktatur in sich.
Wie steht es also mit der journalistischen Ethik und der Parteilichkeit. Schließt das eine nicht das andere aus? Es gab Zeiten, da musste man ein bestimmtes Parteibuch haben, um eine Anstellung in einem Sender zu bekommen. Kann ein Journalist neutral und unvoreingenommen berichten, wenn er einer bestimmten Partei oder Organisation angehört? Würde der Bericht über eine Tagung anders aussehen, wenn er von einem Parteimitglied oder von einem Nichtmitglied geschrieben würde? Eine Eigenart des Journalismus ist das Kürzen. Eine Seite ist eine Seite, eine Spalte eine Spalte. Eine Sendung ist nur eine Zahl definierter Minuten. Liegt in der Verkürzung von Sachverhalten nicht ebenfalls die Gefahr der Parteilichkeit? Ist es rechtens und moralisch unbedenklich, nicht nur das abgrundtief Böse in der Seele eines Mörders darzustellen, sondern auch die positiven Momente, die entlastenden Fakten zu benennen?
„Journalisten bleiben ein Leben lang Zaungäste, aber sie kommen dabei an vielen Zäunen vorbei, hinter denen sie von weitem, manchmal allerdings auch aus der Nähe vieles sehen“, beschreibt der Journalist Rudolf Gerhard die Haltung von Journalisten. Sich immer hinter dem Zaun aufzuhalten, hat die oberste Priorität im journalistischen Alltag. Nie darf diese Grenze überschritten werden, und wenn es noch so schwerfällt. Ich erinnere mich an eine Situation, als ich einen Film über die Barrierefreiheit in Zürich gedreht habe. Unser Rollstuhlfahrer war mit seiner Assistentin angereist, eine schmale, zierliche junge Frau, die wohl außer der Assistentin gleichfalls die Freundin war. Im Dörfli, der Altstadt Zürichs, fuhren wir eine ziemlich steile Straße hinauf, die zudem mit für Rollstuhlfahrer peinvollen Pflaster ausgelegt war. Die junge Frau quälte sich ab, den Rollstuhl den Berg hinaufzuschieben und es zerriß mir fast das Herz, das mit ansehen zu müssen, ohne helfen zu können. Aber meine Aufgabe war es, die Anstrengung zu zeigen, sie zu dokumentieren. Nachdem ich die Aufnahme im Kasten hatte, habe ich sie aber sofort erlöst und den Rollstuhl den Rest der Straße geschoben.
Ich bin in diesem Fall ganz klar hinter dem Zaun geblieben. Und hier schließt sich der Kreis zur Aussage von Klaus Cleber. Als Journalist sollen wir immer die Beobachter sein. Wir schreiben Fakten auf und die in aller Vielfältigkeit. Wir vergessen weder die positiven noch die negativen Aspekte einer Sache, eines Ereignisses, einer Person. Wir liefern ein allumfassendes Bild, das es dem Leser, Hörer oder Zuschauer ermöglicht, sich selbst ein Urteil zu bilden.
Im Morgenmagazin der beiden Sender ARD und ZDF wird immer wieder „eingeordnet“. Was heißt denn ‚einordnen‘ im Klartext? ‚Wir erklären euch jetzt mal, wie das zu sehen ist‘. Auch das ist eine Haltung. Aber was für eine? Müssen die Moderatoren tatsächlich den Zuschauern erklären, wie sie etwas zu sehen haben? Können die sich ihre Meinung nicht selbst bilden? Kein Wunder, dass einer meiner Studenten in einer Belegarbeit ständig schrieb, er müsse die Fakten so aufbereiten, dass sie beim Leser eine bestimmte Wirkung erzielten. Ich nenne so etwas einfach nur Manipulation.
Eine Kollegin, die sich Journalistin nennt, weil es ja kein geschützter Beruf sei, aber nie das dazugehörige Handwerkszeug erlernte, wurde im Vorfeld eines Interviews von den potenziellen Interviewpartnern gefragt, ob sie schon mal die Fragen vorab schicken könne. „Na klar, ich schicke Ihnen die Fragen“, war ihre Antwort. Ich machte sie auf den Fehler aufmerksam und bat sie, in Zukunft sich an unsere Standards zu halten. Da sie gesellschaftlich in dem Bereich, in dem das Interview stattfinden sollte, sehr engagiert ist, war sie der Ansicht, sie könne Fragen übersenden, denn sie wolle doch, dass die Vereine vorwärtskommen. Dabei wolle sie doch nur helfen.
Das ist eine sehr löbliche Haltung. Wenn da nur nicht dieser Gartenzaun wäre, über den wir ja nicht steigen dürfen. Vertrackte Situation sozusagen. Man solle nicht parteilich sein, aber denen eine Stimme geben, die sonst keine haben, schreibt Tageblatt-Journalist Armand Back. Ein Minister könne eine Pressekonferenz einberufen oder über Facebook große Mengen an Menschen erreichen. Wer aber einer Minderheit angehöre, kann das nicht. „Denen eine Stimme zu geben, ist ein wichtiger Teil des Journalismus“. Und das geht auch von der anderen Seite des Zaunes und ist eigentlich die Art von Haltung, die für alle Journalisten gelten sollte: Objektiv, kritisch, alle Seiten einer Sache beleuchtend.